Vier Jahre Berufsmatur: Ein Rückblick




Dieser Artikel berichtet von meinen persönlichen Eindrücken und Auffassungen der BM-Schulzeit. Diese Ausführungen beziehen sich nur auf meinen Ausbildungsweg und können an anderen Schulen oder von anderen SchülerInnen total anders aufgefasst werden.

Meine Lehre als Bauzeichner absolvierte ich in den Jahren 2001-2005 bei der Eichenberger AG in Lenzburg. Neben der Berufsschule in Aarau besuchte ich auch die technische Berufsmatur (BM) an der BerufsBildungBaden (BBB).


Neue Epoche

Das erste halbe Jahr an der neuen Schule war ziemlich hart. Die Lehrer überhäuften uns mit Aufträgen und Hausaufgaben. Nebenbei wollte uns jede Lehrkraft ihre beste Lernstrategie vermitteln. Nach kurzer Zeit wurde mir bewusst, dass mich meine eigene Strategie am bessten weiterbringt. Mit etwas Erfahrung war es kein Problem, abzuschätzen welche Aufträge wichtig und welche weniger wichtig sind. Mit der persönlichen Strategie bin ich gut gefahren, denn die Lehrerschaft änderte ihr Vorgehen häufig.
Die Reise nach Baden und das frühe Aufstehen haben mir keine Mühe bereitet. Jedoch der schwere Rucksack und die total falsch geformten Stuhllehnen spürte ich abends im Rücken. Es gab keine andere Möglichkeit, als den Rucksack um einige Bücher zu erleichtern.


Unterricht

Mathematik, Physik, Chemie

Da wir die technische BM besuchten, waren Mathematik, Physik und Chemie unsere Schwerpunktfächer. Im Chemie-Unterricht lernten wir nicht viel Neues, das meiste war von der Bezirkschule schon bekannt. Hingegen in Mathematik und Physik erwartete uns eine neue Welt. Es beschäftigten uns in Mathe lineare sowie quadratische Funktionen, Vektoren, Winkelfunktionen, Exponenten, Logarithmen und weitere knifflige Rechnungsmethoden.
In Physik befassten wir uns vorwiegend mit Systemdynamik. Diese beinhaltete in unserem Falle Hydro-, Elektro- und Wärmedynamik. So war zum Beispiel unsere Aufgabe, zu bestimmen wie viel Wärme ein Stausee produzieren kann. Das heisst, der Stausee gibt Wasser über Druckleitungen an Turbinen ab, diese produzieren elektrischen Strom, welcher dann für das Beheizen eines Wohnraumes verwendet wird. Energie heisst das Schlüsselwort um die komplexen Zusammenhänge zu verbinden. In diesen beiden Fächern hiess es "am Ball bleiben". Wer die Aufgaben immer erledigt hat, konnte mithalten. Doch oft wäre mehr Repetition zu Hause nützlich gewesen.

"Ich weiss, dass ich nichts weiss." Sokrates

Deutsch

Fluoreszieren, marginalisieren und exzerpieren sind nur wenige Ausdrücke, welche uns im Fach Deutsch verfolgten. Viele Bücher haben wir in den vier Jahren gelesen und zu jedem wurde uns ein anderer wissenschaftlicher Auftrag gestellt. So mussten wir, neben dem Lesen und dem Kommentare schreiben, ganze Buchempfehlungen nach dem Vorbild von getabstract verfassen. Durch das viele Lesen und Schreiben habe ich im Deutsch grosse Fortschritte in der Ausdrucksweise und Textgestaltung machen können.
Link Buchempfehlung nach getabstract

Geschichte, RW

Neben den "wichtigen" Fächern, wurden wir auch in Geschichte und Recht/Wirtschaft (RW) unterrichtet. Mit Geschichte kann ich mich schlecht identifizieren, dem entsprechend war mein Einsatz auch minim. Behandelt wurde der Stoff von Industrialisierung bis zum Zweiten Weltkrieg, ziemlich der Gleiche wie zuvor in der Bez.
In RW lernten wir nützliche Gesetzesartikel aus ZGB, OR und Arbeitsrecht kennen. Zudem untersuchten wir die Zusammenhänge der Wirtschaft und vertieften diese.

Sprachen

Während dem ersten und zweiten Lehrjahr setzten wir uns mit den Fremdsprachen Englisch und Französisch auseinander. In Französisch konnte ich grosse Fortschritte verbuchen, dies lag wahrscheinlich auch an den Lehrpersonen und der Unterrichtsgestaltung. Englisch habe ich gelernt, aber mit den verschiedenen Zeiten habe ich mich nie richtig anfreunden können.

"Ich denke, also bin ich." René Descartes

Projektunterricht

Der Projektunterricht im dritten Lehrjahr könnte aus meiner Sicht ersatzlos gestrichen werden. Jede Woche sind so drei Lektionen in den Sand gesetzt worden. Die Anforderungen waren hoch, wir hatten interessante Begegnungen und haben auch einiges gelernt. Doch der Lerneffekt dieser drei Stunden pro Woche, plus Hausaufgaben, war zu klein.
Während eines Schuljahres galt es drei Projekte in Gruppen zu verfassen. Das letzte Projekt war eine Stereometrie-Vertiefung, welche alle zu besuchen hatten. Die beiden anderen Themen konnten frei gewählt werden. Die Wünsche wurden aber nur beschränkt berücksichtigt, wodurch sich viele Schüler nicht sehr motiviert mit ihren Arbeiten befassten.
interner Link Projektarbeit: Behinderte im öffentlichen Verkehr
interner Link Stereometrie-Projekt


Durchhänger

Im dritten Jahr hatte ich dann einen Durchhänger. Meine Motivation war verflogen. Ich fragte mich immer wieder, wieso ich mir den Stress antue. Die Lehrer erteilten uns (zu) anspruchsvolle Aufträge, setzten Prüfungen an und nebenbei musste auch der Projektunterricht bewältigt werden. In dieser Zeit hätte ich niemandem geraten diese Ausbildung zu absolvieren.
Mit neuer Zuversicht startete ich ins letzte Jahr. Ich konnte mich gut auf die Prüfungen vorbereiten und bin mit dem Resultat zufrieden. Nachdem ich den Abschluss geschafft habe, würde ich die Strapazen wieder auf mich nehmen und die Schule nochmals besuchen.

Jede und Jeder, der die Möglichkeit hat die Berufsmatur zu besuchen, soll diese Chance nutzen. Tiefpunkte gibt es immer wieder, von denen nicht beeindrucken lassen und das gesetzte Ziel unbeirrt anstreben.


Schlussprüfungen

Mathematik, Physik

Auf die Abschlussprüfungen konnten wir uns gut vorbereiten. In der Schule erhielten wir viel Zeit, wir besprachen Unklarheiten und lösten vergangene Prüfungsaufgaben. Alle SchülerInnen mussten zu einem Spezialgebiet einen Vortrag halten, diese waren aber nicht sehr hilfreich. Der jeweilige Schüler wusste danach über sein Thema bescheid, der Rest der Klasse musste das Thema zu Hause aufarbeiten.
An den Schlussprüfungen durften wir zwei Formelbücher und eine bestimmte Anzahl selber geschriebene A4-Blätter mitbringen. Speziell der Physiktest war total anders aufgebaut als ich erwartet hatte, nach anfänglicher Ratlosigkeit konnte ich doch alle Aufgaben mehr oder weniger lösen. Das erlaubte Material kam jedoch bei den meisten Absolventen nicht zum Einsatz.

"Die Mathematik handelt ausschliesslich von den Beziehungen der Begriffe zueinander ohne Rücksicht auf deren Bezug zur Erfahrung." Albert Einstein

Deutsch

Als Vorbereitung lasen und bearbeiteten wir vier Werke, die uns vorgegeben wurden. Natürlich mussten wir an der schriftlichen Prüfung über den Inhalt, die Epoche und die Textgestaltung Auskunft geben können. Für die mündliche Prüfung waren wir verpflichtet, selbstständig ein Buch zu suchen und mit geeigneten Vergleichsaspekten einen Bezug zu einer Primärlektüre zu schaffen. Diese Aspekte galt es in einer Präsentation den Experten vorzustellen. Abschliessend gab es Fragen zu den Büchern zu beantworten.

Geschichte

Für den mündlichen Geschichtstest konnte jeder Lernende das Thema selber bestimmen. Das gewählte Thema musste an Hand einer Leitfrage während genau fünf Minuten präsentiert werden. Danach stellte der Examinator Fragen zur Geschichte und Staatslehre.

Hauptsächlich in Geschichte, aber auch für die mündliche Deutschprobe, mussten wir einen grossen Aufwand betreiben um die Themen zu analysieren. Die Zeit der Kurzvorträge war aber zu knapp um alle Ausführungen durchzubringen.


Schulwechsel

Das gesamte Schulsystem ist in verschiedenen Bereichen nicht ausgereift. Die einzelnen Schulen können zum Beispiel nur mit Mühe gewechselt werden, da nicht überall im gleichen Lehrjahr dieselben Fächer unterrichtet werden. An unserer Schule gab es sogar je nach Lehrer eine andere Abschlussprüfung. Diese Umstände finde ich schlecht. Das System soll kantonal oder sogar national geregelt werden.

"Wer die Geometrie begreift, vermag in dieser Welt alles zu verstehen." Galileo Galilei

Fazit

Der Unterricht war mehrheitlich interessant gestaltet. Den Praxisbezug konnte ich vielfach aber nur mit viel Fantasie finden. Es gab einige Situationen, in welchen die Zeit sinnvoller hätte genutzt werden können, oder in welchen in lieber an einem anderen Ort gewesen wäre. Doch ich habe viel gelernt und konnte verschiedene meiner Kompetenzen verbessern. Wichtig ist in jedem Fall, dass der Lernende selber mitdenkt und nicht nur konsumiert.

Ich würde allen empfehlen: Wenn ihr die Chance habt die Berufsmatur zu besuchen, dann tut dies auch. Die vier Jahre werden dich fordern, doch mit deinem Durchhaltewillen schaffst du es.

Oft sind die beruflichen Ziele nach dem Oberstufenabschluss nicht festgelegt. Mit dem BM-Abschluss kann bei Bedarf die Fachhochschule ohne Prüfung besucht werden. Die BM nach der Lehre nachzuholen ist eine weitere Möglichkeit, doch den ganzen Tag die Schulbank drücken ist nicht jedermanns Sache. (August 2005)




Quelle: http://www.markusbaumi.ch/schule/berufsmatur.html